„So mutig wie Harry Piel“ – 60 Bücher, neun Millionen Auflage: Nun erhält Erfolgsautor Harry Thürk posthum eine umfassende Würdigung.
Weimar. (tlz) Nach Meinung zahlreicher Thürk-Freunde war sie längst überfällig: eine umfassende Würdigung von Leben und Werk des nicht nur in der DDR beliebten Kriminal- und Abenteuerschriftstellers Harry Thürk (1927-2005), dessen 60 Bücher in einer Gesamtauflage von neun Millionen Exemplaren erschienen sind. Kurz nach seinem 80. Geburtstag in diesem Frühjahr ist das von Hanjo Hamann im Mitteldeutschen Verlag, Halle, herausgegebene „Lesebuch“ erschienen. Heute Abend wird es im Beisein der Ko-Autoren Ulrich Völkel und Stefan Wogawa in Weimar, der Heimatstadt Thürks, präsentiert.
Dass da auch sein Weimarer Schriftstellerkollege Wolfgang Held eingeladen ist, versteht sich fast von selbst. Es sollen auch weniger bekannte Seiten des politisch motivierten Autors Thürk vorgestellt werden, der als Journalist und Bild-Reporter in China gearbeitet und zahlreiche Reisen nach Südostasien unternommen hatte. Während des Vietnamkriegs geriet er in eine Wolke des von der US-Luftwaffe versprühten Giftgases Agent Orange und litt seitdem an akutem Lungenschwund und anderen Vergiftungserscheinungen, die ihn später ans Bett fesselten.
„Harry Thürk – Sein Leben, seine Bücher, seine Freunde“ (239 S. mit s/w Abb., 12.90 Euro) ist eine liebevoll gestaltete, mit Leseproben und ausgewählten Rezensionspassagen angereicherte Hommage an den Autor, die Neugier wecken und zur Beschäftigung mit seinem Werk anregen will. Die im Vorwort ausdrücklich erwünschte „Auseinandersetzung“ findet nur partiell statt. Freunde reden einem Verstorbenen nun mal nichts Kritisches nach. Der Leser kann sich jedoch weitgehend selbst ein Bild machen, da die Autoren zumeist aus verschiedenen Rezensionen zitieren – dadurch auch kritische Einwände dokumentieren, bis hin zu jenem Pauschalverriss im „Spiegel“ (Heft 29/1995), der Thürk zum „Konsalik des Ostens“ stempelte. Zu seinem Hauptwerk, dem zweibändigen Solschenizyn-Roman „Der Gaukler“, werden u. a. Peter Hacks aus der „Jungen Welt“ („Ich habe mich glänzend unterhalten“) und Hans C. Blumenberg aus „Die Zeit“ zitiert: „So radikal hat noch kein Autor der DDR seine eigenen Kollegen diffamiert, von den Kulturfunktionären ausdrücklich dafür belobigt.“
Die Nachrufe aus dem Kollegen- und Freundeskreis – von Jan Dolny bis Ulrich Völkel – sind freundlicher und sehr persönlich gehalten; sie lassen hinter der Fassade des scheinbar abgebrühten, sich zuweilen einer deftigen Sprache bedienenden Erfolgsautors, der für viele Bücher und Filme vor Ort recherchiert hat, den sensiblen, gewitzten und gewieften Menschen erkennen – „Harry eben“. So erfährt man, dass Harry eigentlich Lothar Rudolf Thürk hieß und schon als Junge so wagemutig sein wollte wie der Filmheld Harry Piel aus „Menschen, Tiere, Sensationen“. Seinem Freund Wolfgang Held hat Harry über eine Kolik hinweggeholfen, indem er zu Wadenwickel und Fencheltee riet. Verleger Eberhard Günther sah sich mit Thürk auf gleicher Welle, auch was die „harte Schreibweise“ betraf – ein Vorwurf, der nach dem 11. ZK-Plenum 1965 viele DDR-Autoren traf, darunter Thürk im Zusammenhang mit seinem Antikriegs-Roman „Die Stunde der toten Augen“.
Enttäuschend einseitig, was Harry Thürk kurz vor seinem Tod einem Online-Leser zum „Leben nach der Wiedervereinigung“ mitzuteilen hatte: „sozialer Kahlschlag“ rundum, angerichtet von der Treuhand und Westbeamten in Kolonialmachtsmanier. „Ich sehe ein“, schreibt der Schwerkranke, „dass ich für Manipulatoren, wie sie heute unsere politische Showbühne beherrschen, ein unangenehmer Störfaktor bin.“ Ein solcher Störfaktor ist er für die politische Showbühne in der DDR nie gewesen, und kurios wird es, wenn Thürk gegen die „Parteidisziplin“ im Westen wettert. Vielleicht ist er aufgrund seiner fortgeschrittenen Krankheit zu einer Selbsthinterfragung nicht mehr bereit oder in der Lage gewesen.
! Buchvorstellung: heute, 19 Uhr, Literaturhaus Weimar, Marktstraße 2-4. Von dem Eintrittsgeld (5 Euro) werden 2 Euro zugunsten von Kriegsopfern in Vietnam gespendet.
Mittwoch, 13. Juni 2007, von Frank Quilitzsch