„Doch die im Dunkeln sieht man nicht“ – Buchbesprechung
Thüringen bietet dem Besucher eher eine einnehmende als herausfordernde Landschaftskulisse. Ein paar Mittelgebirgsspitzen in Sichtweite der Tausendergrenze in Harz und Thüringer Wald verursachen kein Herzklopfen. Das von den geologischen Verwerfungen besonders geprägte Land aber hat eine spektakuläre Unterwelt zu bieten. Die Enthüllungen in „Höhlen, Grotten, Schaubergwerke in Thüringen“ von Ulrich Völkel macht die familientaugliche Wanderregion jedenfalls auch für den Abenteuerurlauber attraktiv. Das von Granit- und Schieferkämmen begrenzte, von Muschelkalkmassiven begründete Land hat sich schon mit unterirdischen Rekorden in der nationalen Bilanz eingetragen. Positiv zuletzt mit dem Rennsteigtunnel, der längsten tiefergelegten Straße Deutschlands. Negativ mit der größten unterirdischen Fabrik der Welt – dieser Ruhm ist zwiespältig und gilt dem Mittelbau Dora, dem Konzentrationslager bei Nordhausen. Diese neuen Höhlendenkmäler stehen ebenso für die Geschichte des Landes wie die alten, die Zufallsprodukte aus Gesteinsbildungen und tektonischen Verschiebungen.
Wo sich die Felsen sichtbar aufrichteten, haben sich oft genug darunter Klüfte aufgetan – in Thüringen wieder rekordträchtig mit der Götzhöhle in Meiningen, die hier als größte begehbare Spaltenhöhle Europas vorgestellt wird. Der Autor führt den Reisenden ein mit einer geologischen Grundlagenlektion, ergänzt die dabei vermittelten Fachbegriffe umgehend mit dem unter der Grasnarbe gepflegten Bergmannsjargon. Natürliche Ereignisse wie die Auslaugung von Hohlräumen und die Abrisse von Granit- oder Kalkformationen werden in den Berichten fortgesetzt mit den Entdeckungen, Erschließungen und Erweiterungen der Unterweltattraktionen. So gegensätzliche Naturwunder wie die berühmte Feengrotte in Saalfeld oder die nächtliche Gewölbelandschaft der Barbarossahöhle von Rottleben am Kyffhäusergebirge werden dabei zum Gegenbild der Berglandschaften. Fast ebenbürtige Attraktionen entstanden durch menschliche Eingriffe von den Stollenvortrieben nach Kupfer und Gips in Friedrichroda oder durch den Abwasserkanal für das Brauereiprojekt in Weimar – als Marienglashöhle und als Parkhöhle inzwischen Besuchermagneten. Der Abstieg bietet dem Ausflügler auch archäologische Erkenntnisse, für die keiner den Spaten in die Hand nehmen muss. Er führt durch Gesteinsschichten mit den Spuren der Jahrhunderte und Jahrmillionen und hinein in Werk- und Wehrbauten mit den Kratzern der Werkzeuge, führt in eine Welt, in der sich langfristige Evolution und historische Eruptionen dramatisch und oft anschaulich überschneiden. Zauber der Natur und Drama der Geschichte werden hier in einer Welt der Schlammvulkane und Sintergardinen, der Förderschächte und Bunkerdome aufgespürt.
ric.
„Höhlen, Grotten, Schaubergwerke in Thüringen“ von Ulrich Völkel. Rhino-Verlag, Ilmenau 2007. 240 Seiten, zahlreiche Abbildungen. Gebunden, 29,90 Euro.
FAZ am 17.01.2008